Jesus Christus spricht:
Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!
(Lukas 6,36)
Liebe Leserin, lieber Leser!
Die Jahreslosung für das neue Jahr erinnert unwillkürlich an zwei der bekanntesten biblischen Gleichnisse: „Der barmherzige Samariter“ (Lukas 10,25-37) und „Der barmherzige Vater“ (Lukas 15,11-32), besser bekannt als das Gleichnis vom verlorenen Sohn.
Barmherzigkeit – ein schönes, aber auch ein wenig angestaubtes Wort, das im alltäglichen Wortschatz kaum noch vorkommt und dessen Bedeutung sich nicht so einfach erschließt. Der Religionspädagoge und Journalist Gerd Jüttner (*1954) deutet es ganz treffend so: „Im Wort Barmherzigkeit steckt ein Arm, der hilft, und ein Herz, das antreibt.“
B-arm-herz-igkeit also steht im Zentrum der Jahreslosung 2021. Und zunächst ist es Gott, der barmherzig ist wie eine Mutter und wie ein Vater, der sein Herz weit macht und seine Arme ausstreckt. Seine Barmherzigkeit, seine Liebe zu uns Menschen ist so groß, dass er selbst Mensch wird: im Kind in der Krippe und in Jesus am Kreuz. In Elend, Angst und Not wird er selbst angewiesen auf Barmherzigkeit.
Gottes Barmherzigkeit kann sich freilich niemand verdienen, und wir alle sind auf sie angewiesen. Sie zielt nicht auf Gegenleistung und wird gerade dem geschenkt, der nichts zurückgeben kann. Das übersteigt unsere menschliche Vorstellung von Gerechtigkeit:
Weil Gott barmherzig ist zu uns und uns trotz aller unserer Fehler und Schwächen liebt, sollen und dürfen auch wir barmherzig sein mit unseren Nächsten, nicht richten und verdammen, vielmehr vergeben, wie es im Vers nach unserer Jahreslosung weitergeht.
Und natürlich sollen wir geben, von dem etwas abgeben, was wir haben. Das ist das, woran wir bei Barmherzigkeit wohl am schnellsten denken: Wir geben Geld, aber auch Zeit für Hilfsbedürftige, besuchen, trösten, unterstützen. Viele Ehrenamtliche in unseren Gemeinden tun das. Aber auch professionelle Kräfte sind hier gefragt. Barmherzigkeit als tätige Nächstenliebe ist gleichermaßen der Kern unserer Diakonie.
Martin Luther schreibt in seiner berühmten Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen" folgendes über den guten Menschen: „Gute gerechte Werke machen niemals einen guten gerechten Menschen, sondern ein guter gerechter Mensch tut gute gerechte Werke.“ Auch wenn diese Haltung, ein Herz für seine Mitmenschen zu haben, heutzutage oft belächelt wird und „Gutmensch“ beinahe zum Schimpfwort geworden ist: Jede und jeder von uns kann der Barmherzigkeit Gottes (s)ein persönliches Gesicht geben.
Unsere Barmherzigkeit ist gefragt. Ich bin gefragt: Aus Barmherzigkeit drücke ich ein Auge zu und zeige mich großzügig. Aus Barmherzigkeit bin ich nicht nachtragend, wenn andere Fehler machen. Und zuletzt: Aus Barmherzigkeit bin ich auch barmher-zig mit mir selbst, gegenüber meinen eigenen Schwächen und Fehlern. Die Quelle meiner Barmherzigkeit aber ist Gottes allumfassende Liebe, von der auch ich ganz und gar umfangen bin.
Frère Roger, der 2005 verstorbene Gründer der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé, fasst es so zusammen: „Am Abend unseres Lebens wird es die Liebe sein, nach der wir beurteilt werden, die Liebe, die wir allmählich in uns haben wachsen und sich entfalten lassen, in Barmherzigkeit für jeden Menschen.“
Eine gesegnete Advents- und Weihnachtszeit und ein gesegnetes neues Jahr
wünscht Ihnen
Ihr
Dekan Uwe Rasp